Der Zensus belegt, dass die Stadt Stuttgart mit ihren ermittelten Leerstandszahlen den skandalösen Wohnungsleerstand seit Jahren verharmlost

In den länger als ein Jahr leerstehenden Wohnungen könnte ein ganzer Stadtbezirk von Stuttgart wohnen

Wöchentlich erhält der Mieterverein Stuttgart Hinweise von Bürgern auf Leerstand und andere Arten der Zweckentfremdung von Wohnraum. Deshalb wundert es Mietervereinschef Rolf Gaßmann nicht, dass laut Zensus im Jahr 2022 allein in Stuttgart 11.152 Wohnungen leer standen. Das sind 3,46 Prozent aller Wohnungen und ein nahezu gleich hoher Leerstand wie beim letzten Zensus 2011. Der hohe Wohnungsleerstand hält an, obwohl in Stuttgart seit 2016 ein Zweckentfremdungsverbot gilt. Laut Zweckentfremdungssatzung der Stadt ist Leerstand über 6 Monate hinaus genehmigungspflichtig. Verstöße dagegen können mit Ordnungsgeld bis zu 50.000 Euro belegt werden können.

Der Mikrozensus erhob für 2018 einen Leerstand von 6,6 Prozent, laut Stadt waren es 2019 nur 0,5 Prozent

Unangenehm berührt vom Ergebnis des Zensus und dem ermittelten hohen Leerstand müssten die zuständigen Bürgermeistern Pätzold und Maier, die Stadtverwaltung und der Gemeinderat in Stuttgart sein. Denn seit Jahren wird die Leerstandsproblematik in Stuttgart verharmlost. So schrieb die Stadt noch im letzten Bericht Wohnungsmarkt Stuttgart 2023, S.48: „Laut aktuellen Schätzungen gibt es in Stuttgart rund 3.000 leerstehende Wohnungen“ und lag damit um über 8.000 Leerstände daneben. Im Wohnungsbericht 2021 stellte die Stadt Stuttgart sogar fest: „der marktaktive Leerstand…. Ist im Zeitraum von 2010 bis 2019 von 1,7 Prozent auf 0,5 Prozent zurückgegangen. Dies entspricht rund 1.140 leerstehenden Wohnungen (marktaktiv).“ Angesichts der beim Zensus von den Hauseigentümern ermittelten Zahl von 11.152 ermittelten Leerständen eine noch krassere Fehleinschätzung der Verantwortlichen in Stuttgart, zumal der Mikrozensus von 2018 für Stuttgart einen Leerstand von 6,5 Prozent (ca. 20.000 Wohnungen) ermittelt hatte. Für den Mieterverein vernebelt der Begriff „marktaktiver Leerstand“ das Leerstandsproblem. Denn jede bestehende Wohnung könnte am Wohnungsmarkt aktiv sein, außer sie wird gerade saniert oder sie steht in kurzer Übergangszeit auf einen neuen Nutzer leer.

6.105 Wohnungen in Stuttgart waren laut Zensus 2022 seit mehr als 6 Monaten unbewohnt und fielen damit grundsätzlich unter das Zweckentfremdungsverbot, wären somit genehmigungspflichtig. Besonders empört ist Gaßmann über die ermittelten 4.179 Wohnungen (37,5 Prozent), die bereits länger als ein Jahr leer stehen. Laut Matthias Günther, Geschäftsführer des renommierten Pestel-Instituts Hannover, wollen solche Eigentümer ihre Wohnungen in der Regel dem Wohnungsmarkt nicht mehr zur Verfügung stellen und die Politik sei gefordert, Lösungen zur Mobilisierung dieser ungenutzten Wohnungen zu finden.

Wie eine Vermietung dieser Wohnungen den Stuttgarter Wohnungsmarkt deutlich entspannen könnte zeigt ein Zahlenvergleich: Bei einer durchschnittlichen Belegung mit 2,2 Personen pro Wohnung könnten alle Einwohner des Stadtteils Stuttgart-Wangen (9.400 EW) in den länger als ein Jahr leerstehenden Wohnungen untergebracht werden.

Oberbürgermeister Nopper muss an den Bürgersinn der Eigentümer appellieren

Angesichts des skandalös hohen Leerstands erwartet der Mieterverein vom Oberbürgermeister, dass er eindringlich an den Bürgersinn der Eigentümer von leerstehenden Wohnungen appelliert. Es dient nicht nur dem sozialen Frieden und der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Stadt, wenn sich durch Vermietung nicht genutzter Wohnungen der Wohnungsmarkt entspannt. Darüber hinaus reduzieren sich umweltschädliche Pendlerströme, die täglich von weit her zu ihren Arbeitsplätzen in Stuttgart ergießen. In nur 10 Jahren erhöhte sich die Zahl der Einpendler um 60.000 auf 268.000. Zudem ersparen schon bestehende Wohnungen viel graue Energie, wenn sie dem Markt zur Verfügung gestellt und nicht neu gebaut werden.

In München wird, bezogen auf die Einwohnerzahl, das Vierfache an Wohnungsleerstand beendet

Leider zeigt die Erfahrung (auch in Stuttgart), dass mit Appellen allein nur wenige Eigentümer sich überzeugen lassen. Deshalb fordert der Mieterverein von der Stadt ein konsequenteres Vorgehen gegen Leerstand und andere Arten Zweckentfremdung. Denn die ca. 3.000 gewerblich vermieteten Ferienwohnungen in Stuttgart sind in der Leerstandszahl von 11.152 noch nicht enthalten.

Bislang ist das Ergebnis der Stuttgarter Amtes bei der Rückgewinnung von Wohnraum und der Ahndung von Zweckentfremdung äußerst bescheiden. So konnten laut Information der Stadt Stuttgart in den acht Jahren seit Bestehen des Zweckentfremdungsverbots nur 360 Zweckentfremdungen (45 pro Jahr) beendet werden. In München (2 1/2 Mal so viele Einwohner) wird dagegen pro Jahr das Zehnfache (450 Wohnungen pro Jahr) dem Markt wieder zugeführt. Für ähnlich positive Ergebnisse muss die Stadt Stuttgart endlich für eine ausreichende Personalausstattung des zuständigen Amtes sorgen. Während in Stuttgart nur fünf Personalstellen (bis 2022 waren es nur zwei (!) Stellen) dafür zuständig sind, verfügt das entsprechende Amt in München über mehr als 40 Stellen. Das Münchner Ergebnis spricht für sich. Auch setzt München viel stärker auf die Bürgerbeteiligung beim Auffinden von Zweckentfremdung. Dort gehen auf der von der Stadt München gut beworbenen Meldeplattform pro Jahr ca. 580 Hinweise ein. Zwar gibt es auch in Stuttgart eine solche Meldestelle (poststelle.zweckentfremdung@stuttgart.de). Diese wird aber weder von der Stadt beworben, noch im Amtsblatt der Stadt regelmäßig bekannt gemacht. „Offensichtlich schämt sich die Stadt Stuttgart dafür, dass sie gegen Wohnungsleerstand vorgehen soll und fürchtet sich vor der Hausbesitzerlobby“, kritisiert der Mieterverein. Dabei würde eine schärfere Gangart gegen Leerstand auf große Zustimmung bei der Mehrheit der Stuttgarter stoßen. „Angesichts von 30.000 fehlenden Wohnungen in Stuttgart ist Wohnungsleerstand für viele Bürger der Aufreger Nummer eins“, weiß Mietervereinschef aus vielen Gesprächen und Briefen zu berichten.

Anstrengungen zur Mobilisierung von bestehendem Wohnraum zahlen sich für die Stadt doppelt aus: Jede neu zu bauende und bezahlbare Wohnung müsste mit erheblichen öffentlichen Mitteln subventioniert werden. Zudem behielte die Stadt den 15-Prozent- Anteil an der Einkommenssteuer ihrer Bürger, wenn diese nicht ins Umland verdrängt werden.

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