Starke Mitgliederversammlung – starker Mieterverein Stuttgart

Große Besorgnis aber auch Empörung über ungerechte Verteilung der Lasten äußerten Teilnehmer auf der Mitgliederversammlung des Mietervereins Stuttgart Ende Oktober im Haus der Wirtschaft. Im mit über 300 Anwesenden voll besetzten Saal hielt zunächst René Hahn, Sachgebietsleiter für Energiepolitik bei der Stadt Stuttgart, einen Gastvortrag über den Weg von Stuttgart zur Klimaneutralität. Er musste eingestehen, dass die Stadt beim Ausbau des Fernwärmenetzes weit zurückliegt und deshalb in den nächsten 12 Jahren große Anstrengungen beim Ausbau nötig seien. Im anschließenden mieterpolitischen Bericht lieferte Vereinsvorsitzender Rolf Gaßmann dazu Fakten: So versorgt Mannheim bereits 60 Prozent aller Wohnungen mit Fernwärme, wogegen der Anteil in Stuttgart bei unter 10 Prozent der Haushalte liegt. „Ein Anteil von 60 Prozent ist auch in Stuttgart notwendig und machbar“, so Gaßmann. Weil man nicht jedes bestehende Haus in Watte einpacken könne, sei die grün erzeugte Bereitstellung von Wärmeversorgung die bessere Alternative, insbesondere in den dicht besiedelten Stadtbezirken. Er habe Zweifel, ob Stuttgart es in 12 Jahren schaffe, noch 200.000 Wohnungen, die zum Teil energetisch in liederlichem Zustand sind, mit klimaneutraler Heizung bzw. Wärmeversorgung auszustatten. Würden all diese noch „anzupackenden“ Wohnungen energetisch saniert werden müssen, wäre bei einem durchschnittlichen Aufwand von 50.000 Euro/Wohnung allein in Stuttgart die unglaubliche Summe von 10 Milliarden Euro in den nächsten 12 Jahren aufzubringen. Wo Fernwärme wegen Außenlage oder geringer Baudichte nicht sinnvoll ist, solle Stuttgart Nahwärmenetze als Quartierslösungen schaffen. Standorte solcher Netze könnten öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Bäder oder Häuser der Jugend- und Altenbetreuung sein, weil dort die Stadt sowieso für CO2-neutrale Wärmeversorgung ihrer Immobilien investieren muss. Der Gemeinderat dürfe die Wärmewende für Stuttgart nicht nur beschließen, sondern müsse danach auch die notwenigen Gelder bereitstellen, damit Fernwärme erschwinglich wird. Gaßmann: „Wir erwarten, dass die Betreiber des städtischen Fernwärmenetzes die Anschlusskosten für Wohngebäude deutlich absenken und Fernwärme attraktiv und konkurrenzfähig wird. Die städtischen Zuschüsse für die Anschlusskosten der Wohngebäude sind erheblich zu erhöhen.“

Der skandalöse Leerstand von Wohnungen war ebenso Thema des mieterpolitischen Berichts. Nachdem das oberste Verwaltungsgericht in Baden-Württemberg der Argumentation des Deutschen Mieterbunds gefolgt sei, habe die Stadt jetzt auch die Möglichkeit gegen lange bestehenden Leerstand vorzugehen. Dazu müsse das zuständige Amt für Wohnungswesen auch personell aufgerüstet werden.

Scharf prangerte der Vorsitzende die überhöhten Mietpreise in Stuttgart an. Laut einer aktuellen Umfrage der Stuttgarter Zeitungen empfinden mehr als die Hälfte der Mieter in Baden-Württemberg sich durch die hohen Mieten überlastet. Profiteure der Wohnungsnot nutzen den Wohnungsmangel schamlos aus: Mieten von über 20 Euro pro qm seien in Stuttgart keine Seltenheit mehr, sondern sehr häufige Angebotspreise bei Immoscout. Deshalb hatte der Mieterverein auf seiner letzten Mitgliederversammlung im Frühjahr 2022 die Tatenlosigkeit der Stadt gegen Mietwucher zum Thema gemacht und den anwesenden Oberbürgermeister Nopper aufgefordert, das Freiburger Modell auch in Stuttgart zu praktizieren. Dort lässt die Stadt seit 2022 Angebotsmieten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Mietrecht überprüfen und mahnt solche Vermieter ab. Gaßmann begrüßte, dass der Oberbürgermeister sein gegebenes Versprechen aufgegriffen habe und das vom Mieterverein vorgeschlagene Verfahren zur Abmahnung von Profiteuren der Wohnungsnot durch ein städtisches Amt inzwischen praktiziert werde. Die eine Stelle bei der Stadt sei hierfür viel zu wenig. „Jeder, der in Stuttgart ungesetzlich hohe Mieten fordert, sollte mit Strafen rechnen müssen“ rief Gaßmann unter Beifall.

Beifall gab es auch für das gesamte Team des Mietervereins: den Rechtsberaterinnen und Rechtsberatern, unseren Verwaltungsmitarbeiterinnen, den Architektinnen, welche Wohnungen begutachten, dem Energieberater, der Fehler bei den Heizkosten aufdeckt, der Geschäftsführerin, die das Team führt und den sechs ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern, die alle wichtigen Entscheidungen gründlich beraten. Insgesamt sind haupt- und ehrenamtlich über 40 Menschen für die Mitglieder des Vereins im Einsatz.

Über die die Arbeit in der Geschäftsstelle des Mietervereins berichtete anschließend Angelika Brautmeier. Auch nach Corona biete der Mieterverein weiterhin Beratungsgespräche als Telefontermine an, zu welchen das Mitglied angerufen wird. Dieser Service werde gut angenommen, sei aber nicht für alle Mitglieder geeignet. Inzwischen komme mehr als die Hälfte wieder vor Ort für eine Beratung von Angesicht zu Angesicht. Für persönliche Beratungen wurden, wegen den immer komplexeren Beratungen, die Beratungszeit auf 30 Minuten verlängert. Wieder beraten werde auch in den Außenstellen Filderstadt-Bernhausen, Leonberg und Bad Cannstatt. Die Onlineberatung über unser Portal werde sehr gut angenommen. Sie erleichtere den Mitgliedern, ihre Fragen beantwortet zu bekommen und Termine zu vereinbaren. Die hauptsächlichen Beratungsgründe seien nach wie vor Betriebskosten, Wohnungsmängel, Mieterhöhungen und Probleme mit der Kaution.

Nach leichtem Mitgliederrückgang in den Corona-Jahren verzeichne der Mieterverein wieder mehr Neuaufnahmen und weniger Kündigungen. Doch die Zusammensetzung der Mitglieder verändere sich. Inzwischen kommen zehn Prozent der Neubeitritte über Sozialamt und Jobcenter und werden von diesen Ämtern auch für zwei Jahre bezahlt. Die durchschnittliche Dauereiner Mitgliedschaft verkürze sich dadurch. Angelika Brautmeier bedankte sich bei den vielen anwesenden und langjährigen Mitgliedern, denn „immer noch die fast die Hälfte unserer Mitglieder bleibt länger als 10 Jahre im Mieterverein!“ Vorstandsmitglied Axel Englmann berichtete über die Einnahmen und Ausgaben des Vereins. Leider hätten stark gestiegene Kosten bei Personal, Datenverarbeitung und Energie dazu geführt, dass der Mieterverein ab 2024 die Jahresbeiträge um 24 Euro erhöhen müsse. Viele Mitglieder seien weiterhin die Voraussetzung dafür, dass der neue Beitrag für viele Jahre unverändert bleiben könne. Die beste Werbung für den Mieterverein ist dabei Ihre persönliche Empfehlung an Nachbarn und Freunde. Der von Jürgen Guggenberger vorgetragene Revisionsbericht bescheinigte dem Vorstand anschließend sparsames Wirtschaften. Danach wurden alle sieben ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitglieder fast einstimmig wiedergewählt.

Von den Mitgliedern diskutiert und mit großer Mehrheit beschlossen wurde der vom Vorstand vorgelegte Antrag für eine soziale Ausgestaltung des Stuttgarter Weges zur Klimaneutralität (siehe Kasten). Vereinschef Rolf Gaßmann bedankte nach über zwei Stunden am Ende bei den Mitgliedern für eine „Mitliederversammlung, die mit viel Interesse ein großes Arbeitspensum erledigt hat. Sie und wir sind der Mieterverein. In einer Zeit, in der Mieten und Nebenkosten stark steigen und der Mangel an Wohnungen zunimmt, ist ein starker Stuttgarter Mieterverein nötiger denn je!“

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