Stuttgarter Mietpreise explodieren in nur zehn Jahren um 45 Prozent - Mieterverein: Ohne Mietendeckel geraten immer mehr Haushalte in Wohnungsarmut

Die neuen Zuschläge für Ausstattungsmerkmale sind problematisch

Der Mieterverein ist äußerst besorgt darüber, dass der neue, qualifizierte Mietspiegel mit der höchsten in den letzten Jahrzehnten erhobenen Steigerungsrate von 7,7 Prozent die Mieterhaushalte noch stärker belasten wird.

Die Werte des Mietspiegels werden nicht verhandelt, sondern von der Stadt erhoben und ausgewertet. Mieterverein und Haus & Grund waren an der Erstellung der Fragebögen für den Mietspiegel 2021/2022 und an deren Auswertung beteiligt. Der Mieterverein hätte sich bei der Gewichtung von Wohnungsausstattungen ein Festhalten am bewährten Punktesystem gewünscht und hatte deshalb in den Besprechungen mit den beteiligten Ämtern auch darauf hingewirkt, leider ohne Erfolg.

Die von den Ämtern nun bei bestimmten Ausstattungsmerkmalen durchgesetzten Zuschläge in Euro-Festbeträgen pro qm sind nach Ansicht des Mietervereins wenig nachvollziehbar, nicht praxistauglich und führen oft zu Mietsteigerungen weit über dem errechneten Durchschnittswert von 7,7 Prozent. Es ist unverständlich, warum für ausgewählte einzelne Ausstattungsdetails Preise gefunden werden, aber nicht für andere Merkmale, welche eine Ausstattung zutreffender beschreiben. So sind beispielsweise die Bad-Merkmale nach vermeintlicher Funktionalität ausgelegt, lassen aber die für den Nutzer wesentlichen Eigenschaften eines Bades außen vor, wie Tageslicht, gute Belüftung, großzügige Raumgestaltung und ansprechende Optik.

Zwar können einzelne Ausstattungsmerkmale wie ein Handtuchwärmer (Zuschlag 0,58 Euro/qm) symbolhaft für ein bestimmtes (gehobenes) Ausstattungsniveau einer Wohnung stehen, können aber auch als singuläres Ausstattungsdetail zur starken Überwertung einer Wohnung führen. So macht ein kostengünstig zu installierender Handtuchwärmer eine 3-Zimmerwohnung (75 qm) um 43,50 Euro pro Monat teurer. Hat die gleiche Wohnung noch Laminatboden (Zuschlag 0,33 Euro/qm), so verteuert sie sich um weitere 24,75 Euro im Monat. Ohne Handtuchwärmer und mit Teppichboden wäre die gleiche 75 qm große Wohnung um 1,85 Euro/qm und damit 138,75 Euro/Monat günstiger.

Dagegen wirkt sich der gravierende Ausstattungsmangel einer völlig fehlenden Heizung nur mit einem Abschlag von 0,58 Euro/qm aus, also mit 43,50 Euro im Monat für die 3-Zimmerwohnung und damit in gleicher Höhe wie der Handtuchwärmer. Wert und Nutzen für den Mieter stehen damit in keinem angemessenen Verhältnis zu den vorgegebenen festen Zu- und Abschlägen in Euro. Zudem verteuern solche Ausstattungsdetails die Wohnung umso stärker, je mehr Fläche sie hat.

Der Mieterverein steht mit seiner Kritik nicht allein. Von Haus & Grund wurden ähnliche Bedenken geäußert. Der Mieterverein bedauert, dass die Ämter nicht zur von beiden Verbänden gewünschten Veränderung zum bewährten Punktesystem bereit waren, sondern nur eine Überprüfung bei der Erstellung des nächsten Mietspiegels avisiert wurde. Der Mieterverein hat die Auswirkungen der Festzuschläge an drei typischen Wohnungen dargestellt (siehe Anlage).

Der Bundestag muss die Mietpreise stoppen und zunehmende Wohnarmut eindämmen

Die in den letzten zehn Jahren geradezu explodierten Mietspiegelwerte ergeben gegenüber dem Jahr 2010 Mietpreissteigerungen von durchschnittlich 45 Prozent. Weil im gleichen Zeitraum die durchschnittlichen Nettogehälter nur um 28 Prozent anstiegen, müssen Mieterhaushalte einen immer größeren Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Laut dem Wohnungsmarktbericht 2019 der Stadt Stuttgart gaben bereits im Jahr 2018 die Stuttgarter Mieterhaushalte durchschnittlich ein Drittel ihres Nettoeinkommens für die Brutto-Kaltmiete aus, Geringverdiener bis 1300 Prozent netto zahlten im Mittel sogar 54 Prozent für die kalte Wohnung. Die Bestandsmieten in Stuttgart erhöhten sich dreimal so schnell wie der Verbraucherpreisindex und sind damit zum Inflationstreiber geworden. Nutznießer der Mieteninflation sind Hauseigentümer, welche ihre Einnahmen seit 2010 durchschnittlich um 45 Prozent steigern konnten, oft ohne auch nur einen Cent in ihren Wohnungsbestand investiert zu haben.

Der Deutsche Mieterbund fordert deshalb vom Bundestag wirksame Gesetze gegen Wohnarmut. Es kann in einer sozialen Marktwirtschaft nicht hingenommen werden, dass in den Ballungszentren die 70 bis 80 Prozent aller Haushalte, die zur Miete wohnen, immer ärmer werden. Für Gebiete mit Mangel an Mietwohnungen ist deshalb ein Mietendeckel für mindestens fünf Jahre das Gebot der Stunde, ähnlich wie in Berlin. „Es ist unsozial und durch nichts zu rechtfertigen, dass die Mieten selbst in angespannten Wohnungsmärkten per Gesetz um 5 Prozent pro Jahr erhöht werden dürfen, ansonsten sogar um knapp 7 Prozent“, kritisiert Mietervereinschef Rolf Gaßmann. Der Bundestag könnte einen atmenden Mietendeckel durch eine Änderung des BGB schnell und einfach gesetzlich regeln. Die SPD-Fraktion hat hierzu bereits entsprechende Beschlüsse gefasst, doch der Koalitionspartner CDU/CSU blockiert. „Auch den Wohnungsfachleuten der CDU ist bekannt, dass mit dem viel zu geringen Wohnungsneubau sich der Wohnungsmarkt in absehbarer Zeit nicht entspannen werde und selbst in Pandemie-Monaten die Mieten weiter kräftig erhöht werden“, stellt Gaßmann fest. Sofern die Regierungskoalition nicht handelt, werden der Stuttgarter Mieterverein und seine Dachorganisation Deutscher Mieterbund ihren Kampf für einen dringend notwendigen Mietendeckel im Vorfeld der Bundestagswahl als Kampagne führen.

Der Mieterverein rät allen Mietern, Mieterhöhungen nicht ungeprüft zuzustimmen. Erfahrungsgemäß ist jede dritte Erhöhung fehlerhaft. Die Juristen des Mietervereins überprüfen für Mitglieder Form und Höhe einer Mieterhöhung und erledigen den notwendigen Schriftverkehr mit dem Vermieter. Der Jahresbeitrag für umfassende Beratung und Hilfe beträgt nur 84 Euro, inklusive Rechtsschutz. Schon 30.000 Stuttgarter Mieterhaushalte nutzen das Beratungsangebot für Mieter.

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