Weil die Stuttgart selbst für Familien keine freien Fürsorgeunterkünfte mehr hat, muss die Stadt zur Verhinderung von Obdachlosigkeit notfalls auch Wohnungen beschlagnahmen

In einem Brief vom 17.04.2019 an den zuständigen Ordnungsbürgermeister Dr. Schairer weist Mietervereinschef Rolf Gaßmann darauf hin, dass der Fehlbestand an Mietwohnungen in Stuttgart weiterhin zunimmt und es für Familien mit Kindern nahezu aussichtslos ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Allein in den letzten Tagen sind dem Mieterverein zwei Fälle bekannt geworden, in denen Familien mit jeweils vier Kindern von Obdachlosigkeit bedroht sind, da sie nach Kündigungen innerhalb der gerichtlich festgelegten Räumungsfrist keine Wohnung finden.

Gaßmann hat deshalb Ordnungsbürgermeister Dr. Schairer um Auskunft gebeten, ob das Ordnungsamt in diesem und ähnlich gelagerten Einzelfällen bis auf weiteres von der behördlichen Einweisungsmöglichkeit in die schon bewohnte Wohnung Gebrauch machen wird. Bürgermeister Schairer hat dem Mieterverein umgehend die rechtliche Prüfung durch das Amt für öffentliche Ordnung zugesagt. Das Ergebnis der Prüfung liegt dem Mieterverein bislang nicht vor.

Im konkreten Fall wurde eine Familie mit vier schulpflichtigen Kindern nach einer Eigenbedarfskündigung und der darauf folgender Räumungsklage zum Räumungsvergleich veranlasst. In dem Vergleich vom 07.06.2018 wurde der sechsköpfigen Familie Räumungsfrist bis zum 31.01.2019 gewährt. Die Familie hatte ihre Mieten immer pünktlich bezahlt. Das Einkommen des allein verdienenden Mannes ermöglicht jedoch nur Bewerbungen bis zu einer Kaltmiete von 1.100 Euro.

Trotz erheblicher und nachgewiesener Bemühungen ist es der Familie bis heute nicht gelungen, eine Ersatzwohnung zu finden. Sie steht auf der Warteliste des Wohnungsamtes und hat zahllose erfolglose Bewerbungen hinter sich. Die vom Vermieter beauftragte Gerichtsvollzieherin hat der Familie Räumungsaufschub bis Anfang Mai gewährt. Danach droht Eltern und Kindern, dass sie auf der Straße sitzen. Vom Sozialamt wurde ihnen mitgeteilt, dass die Stadt zurzeit keine freie Fürsorgeunterkunft zur Verfügung hat.

Für solch drastische Einzelfälle kann eine Stadt zur Verhinderung von Obdachlosigkeit mittels Ordnungsrecht (Rechtsgrundlage ist § 33 Polizeigesetz) für höchstens sechs Monate die Beschlagnahme einer Wohnung und die Einweisung einer Familie in ihre bislang bewohnte Wohnung verfügen. Der Vermieter hat in dieser Zeit selbstverständlich Anspruch auf Entschädigung und kann nach Ablauf von sechs Monaten wieder über seine Wohnung verfügen.

Zwar hat die Stadt Stuttgart von dieser Möglichkeit über Jahrzehnte keinen Gebrauch gemacht. Umlandgemeinden, wie Besigheim, praktizieren jedoch die Beschlagnahme zur Vermeidung von Obdachlosigkeit. Der Mieterverein fordert deshalb auch vom Ordnungsamt Stuttgart in Einzelfällen von der Beschlagnahme und Wiedereinweisung Gebrauch zu machen, insbesondere um Obdachlosigkeit von Familien zu verhindern und deren schlimme Folgen für die betroffenen Kinder.


Gez. Rolf Gaßmann 

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